China – Shenzhen

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Stadt Shenzhen

Datum: September 2012
Team: Kristina Feix, Johannes Volkmann
Foto: Johannes Volkmann
Partner: Amt für Internationale Beziehungen Nürnberg: Norbert Schürgers, Birgit Birchner, Amt für Auswärtige Angelegenheiten der Stadt Shenzhen: Christine Xiao

Reisebericht von Johannes Volkmann

Und fast hätte ich vergessen wie schwierig es im Vorfeld gewesen war diese Frage hier stellen zu können.

„Stimmt es, dass es in der deutschen Sprache das Wort Demokratie gibt?“, fragte ein Student uns in der Stadt Shenzhen. „Bedeutet das Freiheit?“ Eine eindrückliche Frage, angesichts der Schwierigkeiten, die ich im Vorfeld hatte, den Tisch im öffentlichen Raum zu errichten, um die Menschen nach ihrer Meinung zu fragen, was für sie unbezahlbar sei. 

Das Goethe-Institut Peking fand keinen Weg der Umsetzung, das Konfuzius-Institut sah ebenfalls zu viele Hürden für eine Realisierung. Dank der gewachsenen Partnerstadtverbindung Nürnberg – Shenzhen wurde der Versuch einer Umsetzung gewagt, aber alles lief anders als gedacht. 

Zuerst bekam ich tatsächlich eine Zusage vom städtischen Amt für Partnerstädte in Shenzhen. Der Tisch sollte in einer Einkaufsmall errichtet werden. Freundlich, aber eindeutig wurde mir einige Zeit später dann nur noch der Pausenhof einer Schule angeboten. Ich zögerte, sagte aber zu, obwohl das eigentlich nicht der Idee des Projektes entsprach. Aufgrund der Ferien war dies jedoch auch dort nicht mehr möglich, so die Antwort aus der Partnerstadt in den darauffolgenden Wochen. Aber wir seien herzlich eingeladen, die sehenswerte Stadt Shenzhen zu besichtigen. 

Wir nahmen die Einladung an, mit dem Wissen, dass der Unbezahlbar-Tisch im öffentlichen Raum nicht errichtet werden konnte – aber mit der inneren Gewissheit, eine Lösung vor Ort zu entwickeln. Diese Zuversicht wurde getrübt. Am Flughafen Shenzhen holte uns netterweise die Leiterin des Amtes mit ihrem Fahrer ab – sie gab uns ein „Timetable“, in dem unser Aufenthalt genau festgelegt war: zwei Museumsbesuche, ein 5-stündiger Aufenthalt im Vergnügungspark, ein Besuch der Mensa in der Stadtverwaltung … uns wurde klar: Es gab keine Spielräume für Experimente. Wir waren Gäste und aus Höflichkeit konnten wir diese gastfreundschaftlichen Angebote auch nicht in Frage stellen. Uns wurde eine nette, schüchterne Studentin als feste Begleiterin und Dolmetscherin zur Seite gestellt – wie bei einer Delegation.

Die Stadt war voller Menschen und trotzdem wirkte sie steril, die Straßen breit angelegt, die Hochhäuser demonstrierten die Moderne und das angelegte Grün dazwischen war für die Freizeit gedacht – eine Bilderbuchstadt auf dem Reißbrett geplant. 

Wie sollten wir hier Unbezahlbar realisieren? Im Hotel beim Frühstück entwickelte sich eine Idee. Wir nahmen vom Buffet einen Teller und das Besteck mit und bereiteten entsprechende Papiere dafür vor. Dann weihten wir die Studentin in unser Vorhaben mit der Bitte um Übersetzungshilfe ein. Sie lächelte uns schüchtern an. Unsere Idee war, auf allen unseren festgelegten Wegen verschiedene Menschen anzusprechen. Wir wollten ihnen den eingepackten Teller geben, damit sie darauf schreiben konnten, was für sie unbezahlbar wichtig war im Leben. 

Die erste Station unserer Stadtführung war das Stadtmuseum. Der junge, feurige Museumsführer wurde unser erster Autor. Zuerst erklärte er uns noch die unglaubliche Geschichte der Stadt: ein Einwohnerwachstum von ca. 50 000 Menschen hin zu ca. 12 Millionen Menschen binnen 30 Jahren! „Den störenden Berg in der Mitte der Stadt hatte man damals einfach weggesprengt“, so seine begeisterten Worte über die Entscheidung der Kommunistischen Partei. „Shenzhen wurde zu einer Modellstadt in der aufkommenden Öffnung Chinas, eine Freihandelszone, direkt neben Hongkong. Hier entstanden und entstehen viele Produkte Made in China“, erklärte er uns stolz und dann stutzte er. Wir hielten ihm den Teller hin.

„Was soll ich schreiben?“, fragte er uns etwas irritiert. Er überlegte. Eine Art maslowsche Bedürfnispyramide war seine Antwort. Am unteren Sockel stand das Wort Lebensmittel, an der Spitze das Wort Selbstverwirklichung. Er fügte hinzu: „Das ist das Ziel der Jugend in China, die im wirtschaftlichen Aufschwung um ihren persönlichen Erfolg ringt. Sie wollen viel Geld verdienen, denn das ist hier wie eine Religion.“

„Die Freiheit des Denkens“ lasen wir auf dem nächsten Teller, geschrieben von einem weiteren Privatführer. Wir hatten ein eigenes kleines Eisenbahnwägelchen bekommen, das uns im Vergnügungspark die ethnologische Vielfalt Chinas vorführte. Hochoffiziell beschrieb der junge Mann mit dem Mikrofon jeden Landesteil auf unserer Fahrt durch die Kulissenlandschaft. Auf meine Rückmeldung hin, dass Tibet eigentlich gar nicht zu China gehöre, sagte er nur “doch“. So hatte er es in der Schule gelernt. Umso überraschender sein Kommentar im Teller. Unsere junge Studentin übersetzte alles brav. Wir fuhren weiter durch den Vergnügungspark. 

Ironischerweise trafen wir auf diese Art und Weise hier Menschen aus ganz China an. Sie waren lebende Beispiele für ihre jeweilige Kultur. Überall entstanden schöne kurze Gespräche und alle hatten große Freude daran, etwas in den Teller zu schreiben. Wir machten von jedem Teller und von jeder Person ein Foto. Es gab nicht die geringsten Bedenken sich zu äußern, eher war eine kindliche Freude am Ereignis zu spüren.

„Ich möchte mich selbst kennenlernen“, schrieb ein junger Akrobat der bei einer perfekt inszenierten Folkloreaufführung mitwirkte. Eine in mongolische Tracht gekleidete Frau schrieb: „Erfahrungen und Gedanken teilen“. „Das Internet ist streng zensiert“, erklärte uns unsere hilfsbereite Studentin, die immer aufgeschlossener wurde. 

Am letzten Tag stand der Besuch des Kunstmuseums auf dem Programm. Hier entstand eine unerwartete Situation. Unsere Studentin hatte sich im Laufe der Zeit so sehr der Idee der Arbeit angenommen, das sie selbstständig im Museum anregte, einen Tisch in das Foyer des Museums zu stellen. Es gab überraschenderweise keine Einwände. Vielleicht wollte man auch höflich sein und uns als Gästen diesen Gefallen tun. Wie ausgewechselt stand sie nun vor dem Tisch und sprach alle Besucher an. Und mir wurde bewusst, dass wir es im Kleinformat tatsächlich geschafft hatten einen „öffentlichen“ Tisch zu errichten.

„Folge deinen Träumen“, schrieb ein Familienvater. „Gesundheit“, titelte eine alte Dame. Und dann griff unsere Studentin selbst zum Stift. „Gute Freunde und Mut.“ Es war ein friedliches Miteinander und eine rege Beteiligung am Tisch. Und fast hätte ich vergessen wie schwierig es im Vorfeld gewesen war diese Frage hier stellen zu können.