Ecuador – Quito

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Quito, Centro Cultural Metropolitano

Datum: Mai 2010
Tisch: 30 Meter
Team: Anja Bühling, Johannes Volkmann, Susanne Winter
Foto: Johannes Volkmann
Partner: Asociación Humboldt / Centro Goethe de Quito: Cristina Gleich, Centro Cultural Metropolitano

Reisebericht von Anja Bühling

Unbezahlbar – durch die Stadt laufen und lebend nach Hause kommen.

Es ist angerichtet: Im Centro Cultural Metropolitano in Quitos berühmter Altstadt steht der rund 26 Meter lange Tisch. Diagonal in der Mitte des wunderschönen, überdachten Innenhofes aufgestellt, bietet der Ort den Besuchern Raum und Zeit sich auf die Installation einzulassen. Doch: Wie werden die Menschen der ecuadorianischen Hauptstadt auf die Einladung reagieren? Werden sie die Gelegenheit nutzen, ihre Vorstellungen von „Unbezahlbar“ zu Papier zu bringen? Was wird für sie als so wertvoll gelten, dass sie es auf die Papiertischdecke und die in Papier gehüllten Teller notieren? Ein Land, indem es durchaus politische Veränderungen und große Probleme gibt – wird sich das widerspiegeln? Werden die Menschen unverblümt ihre Meinung äußern oder zögern sie? Werden sie auf die Politik ihres Präsidenten Rafael Correa eingehen, auf die Umweltverschmutzung, die spürbare Zensur, die finanziellen und sozialen Probleme des 13,5 Millionen Einwohner großen Landes oder werden sie über ihre privaten Wünsche schreiben?

Der Ort erweist sich als ideal. Gleich neben dem Regierungssitz gelegen, ist das Kulturzentrum ein offenes Haus, in das die Menschen unbefangen eintreten und sich überraschen lassen. Die Dauerausstellung des Museums kann kostenlos besucht werden, eine große Bibliothek ist in dem ehemaligen Universitätsgebäude untergebracht. Die Indios, die auf dem großen Platz vor dem Museum ihre Waren anbieten und die Leute, die sonntags über den Platz flanieren, kommen gern.

Das deutsche Kulturzentrum hat die Ausstellung hervorragend vorbereitet. Cristina Gleich vom Instituto Alemán de Quito hat die Möglichkeit arrangiert, das Projekt hier durchzuführen. Nicht nur der Ort ist bestens ausgesucht. Um möglichst viele Menschen an den Tisch zu bekommen, werden uns Studenten und Hilfskräfte des Centro Cultural an die Seite gestellt, die die Eintretenden animieren sollen, sich zu beteiligen. Wir erklären ihnen die Fragestellung und das Ziel der Installation. Reagieren sie zunächst noch ein wenig schüchtern, so entwickeln sie im Laufe des Tages immer mehr Selbstvertrauen: Je mehr sie sich engagieren, desto mehr Besucher machen mit. Je mehr mitmachen, desto engagierter sind unsere Helfer. Am vorbereiteten Tisch mit den Stempeln und Umschlägen helfen sie uns mit immer größerer Selbstverständlichkeit, die mit der Zeit ausgehenden Umschläge nach zu stempeln, Stifte zu verleihen, Fragen zu beantworten und zu erklären, worum es bei „Unbezahlbar“ geht.

Unbezahlbar ist das Lächeln eines Kindes.
Unbezahlbar ist jede Minute, die ich mit meinem Sohn verbringe.
Unbezahlbar ist es in aller Ruhe durch die Straßen zu laufen, und dabei nicht auf die Uhr schauen zu müssen.
Unbezahlbar ist es, saubere Hände zu haben, um in Freiheit arbeiten zu können.
Unbezahlbar ist es, den Jungs im Viertel beim Fußballspielen auf dem Platz zuschauen zu können.

Augusto Barrera – Bürgermeister von Quito

Im Raum herrscht eine große Ruhe und es regiert die Neugierde. Keiner schimpft. Keiner findet die Kunstaktion merkwürdig. Die Menschen der unterschiedlichsten Schichten und ecuadorianischen Kulturen treten ein, schauen sich an, was hier geboten gibt – und machen mit. Ohne zu zögern, lassen sie sich auf die Frage ein und überlegen zum Teil sehr genau was sie zu sagen haben. Es ist eine entspannte, angenehme Atmosphäre. Die Leute lesen, was andere geschrieben haben. Sie reden miteinander, lachen und schauen sich das Ganze an. Die einen brauchen sehr lange, bis sie ihren kurzen Satz geschrieben haben – das Schreiben fällt ihnen schwer. Andere wissen sofort, was sie verewigen möchten, schreiben lange Gedichte und Kommentare ohne dabei auch nur eine Sekunde zu zögen. Ein älterer, einfacher Mann lässt sich genau erklären, worum es geht, setzt sich und grübelt, denkt laut nach und brabbelt dabei Unverständliches. Schließlich greift er zum Stift und schreibt in krakeligen Buchstaben, seine traditionelle Tanzgruppe sei für ihn unbezahlbar. Eine ältere Indiofrau fragt einen Studenten, worum es hier geht, dann sucht sie sich einen leeren Platz und schreibt ihr Statement in Quechua. Immer wieder gibt es spanische Kommentare auf den Tellern, in denen sich das „k“ der Quechua-Sprache einschleicht. Grammatikalische Schwäche oder subversive Kraft? Die vielen Indiostämme, das ungelöste Problem eines gleichberechtigten Miteinanders, prägen dieses Land und seine Geschichte. Eine Spur davon wird auch auf dem Tischtuch verewigt.

Die Freiheit als Lebensform ist unbezahlbar.
Als Schauspielerin, ist die Zuneigung des Publikums unbezahlbar.
Der Genuss, die tägliche Freude am Leben, das Lachen sind unbezahlbar.
Alle Gefühle, die die Mutterschaft erzeugt, sind unbezahlbar: die Zuneigung, die Zärtlichkeit, die Liebe, die Bindung.

Juana Guarderas

Eine Schulklasse, Mütter mit kleinen und großen Kindern, Studenten, Indios, Intellektuelle, eine berühmte Schauspielerin, die Autogramme gibt, ältere Menschen und Touristen aus aller Herren Länder – sie alle lassen sich auf das Experiment ein. Es scheint fast so, als ob sie es als eine Art Ehre empfinden, nach ihrer Meinung gefragt zu werden. Die Idee, dass ihre Meinung in die Welt hinaus getragen wird, dass sie ein Teil eines weltweiten Vergleiches sind, gefällt ihnen und sie fühlen sich ernst genommen.

Sehr schnell wird deutlich, wie gläubig dieses Land ist. Wie stark die christlich katholische Erziehung im Leben der Menschen verankert ist. Für uns überraschend, zögern viele bei der Frage nach „Unbezahlbar?“ nicht, die Liebe Gottes zu preisen, ihm für ihr Leben, ihre Liebe zu danken.

Für mich sind die liebevollen Momente, die ich mit meinen zwei Kindern und meiner Schwester teile, wenn wir zusammen essen, lachen oder spazieren gehen unbezahlbar.
Unbezahlbar sind auch die uneingeschränkte Zuneigung und enorme Brüderlichkeit von Seiten meiner beiden besten Freunde: Oscar und Diego.

Iván Vallejo

Viele schreiben ihren Namen dazu, machen sehr persönliche Aussagen Natürlich gibt es auch viele Stimmen, die an ihr privates Glück denken, an ihre Familie, ihre Lieben, ihre Kinder, ihre Gesundheit. Viele schreiben ihren Namen dazu und machen sehr persönliche Aussagen. Dennoch liest man auch kritische Stimme. So gibt es auch einen Herren, der den Schaden, den der Präsident dem Land zufügt, als unbezahlbar empfindet. Für einen Schriftsteller ist es unbezahlbar, die Meinungen anderer einfach zu tolerieren. Es manifestiert sich Kritik an den „Gringos“, den Ausländern, die die Minen ausbeuten. Der Respekt vor der Natur, der Umwelt – auch der erscheint auf dem Papier. Wasser, vor allem Trinkwasser wird zu einem „unbezahlbaren“ Wunsch.

Doch insgesamt ist die Mehrzahl der Aussagen weit weniger politisch, als vielleicht von uns erwartet. Es geht eher um die Grundbedürfnisse des menschlichen Seins, die sich immer wieder stark vom christlichen Glauben ableiten lassen.

Um den Tisch herum bleiben die Menschen stehen, mit ihrem Kind auf dem Arm oder an der Hand, unterhalten sich mit ihren Begleitern oder beginnen ein Gespräch mit dem fremden Gegenüber. Es wird gelacht, gescherzt, philosophiert und diskutiert. Der Tisch, Ort der Kommunikation und des Miteinanders erfüllt auch in diesem künstlich geschaffenen Raum seine Funktion.

Ein Lächeln beim Öffnen der Tür.
Dass von dir keine Erklärungen verlangt werden: dass du sie nicht geben musst.
Dass jemand dir Hilfe anbietet, damit du drei lebende Langusten durch die Grenze von New York bekommst.
Eine Hand: immer: in jeder Situation.

Gabriela Alemán


Haben sich die Besucher mit ihrer Meinung verewigt, geben sie ihre geliehenen Stifte wieder zurück und dürfen sich einen der vorbereiteten Briefumschläge aussuchen. Auf ihnen sind Zitate zum Thema „Unbezahlbar“ unterschiedlicher Prominenter gestempelt. Sie stammen von Augusto Barrera, dem Bürgermeister von Quito, der Schauspielerin Juana Guarderas, dem Journalisten Francisco „Pájaro“ Febres Cordero, dem ecuadorianischen Bergsteiger Iván Vallejo, der Schriftstellerin Gabriela Alemán, Einige nehmen diese Kuverts eher achtlos mit. Doch die meisten sehen sich auch diese Sätze genau an und wählen entweder nach Sympathie für den Autor oder nach Inhalt aus.

„Was sollen wir denn mit dem bedruckten Umschlag machen?“, fragt ein älterer Herr. „Sie können ihn aufhängen, verschenken oder jemandem schicken.“ Wobei das letztere wohl kaum der Fall sein wird, wenn man bedenkt, dass in Ecuador eine Postkarte 2,50 $ kostet und es einer kaum zu bewältigenden Herausforderung gleichkommt, an eine Briefmarke zu gelangen. „Ah. Na, dann behalte ich ihn. So schön hätte ich kaum ausdrücken können, was auch für mich unbezahlbar ist!“ In den Händen hält er:


Singen, Auftreten, Tanzen, Schreiben in Freiheit.
Durch die Stadt zu laufen und lebend nach Hause zu kommen. Und dort wartet ein hoffnungsvoller Kuss.
Zu sehen, wie mein Enkel wächst, ohne das Kindliche zu verlieren. Noch sein Lächeln.
In den Augen der Anderen – die Würde zu finden.
Durch einen Wald zu laufen, ohne dass jemand aus dem Hinterhalt hervorkommt, der seine Stämme mit der Gier eines Holzfällers oder mit der Geilheit eines Geschäftemachers anschaut.

Francisco „Pájaro“ Febres Cordero

Von Anja Bühling