Egypt – Alexandria

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Alexandria, Stanley Bridge

Datum: März 2012
Tisch: 40 Meter
Team: Johannes Volkmann
Foto: Johannes Volkmann
Partner: Hakawy International Arts Festival: Mohamed El Ghawy / AFCA, AGORA for Arts and Culture: Reem Kassem, Deutsche Botschaft: Anke Reifenstühl, Goethe-Institut Alexandria: Daniel Stoyvesand, The Egyptian Ministry of Culture – Sector of Foreign cultural relations

Der Wunsch den Tisch in Kairo zu errichten vermischte sich mit dem Zufall. In Galway lernte ich Mohamed El Ghavy kennen.

Reisebericht von Johannes Volkmann

Er zwinkerte mir zu, “in der Sache klar bleiben, für den Weg dorthin aber offen sein.“

Drei Tage vor Abreise nach Kairo erreicht mich die Nachricht: Das koptische Oberhaupt in Ägypten, Papst Schenuda, ist gerade verstorben und die Militärregierung sagt alle öffentlichen Veranstaltungen aus Sicherheitsgründen ab. Die gut vorbereitete Durchführung in der Altstadt ist also gekippt. Ich flog trotzdem nach Kairo, „denn es gibt eine Alternative“, so die Worte von Mohamed. Er hatte sich engagiert, den Unbezahlbar-Tisch nach Kairo zu holen und war froh, dass ich trotz unklarer Situation in seine Stadt kam. Als Teil der Revolutionsbewegung glaubte er an die Kraft der freien Meinungsäußerung. Er hatte den Tisch vor einem Jahr zufällig im irischen Galway gesehen, seitdem war er beseelt von der Idee den Tisch in seiner Stadt aufzubauen. „Am besten zum Jahrestag der Revolution, auf dem Tahrir Platz“, so seine Vision.

Doch die Realität war eine andere. Wir liefen über das Gelände der Kairo-Oper und suchten einen alternativen Platz, um die Arbeit überhaupt durchführen zu können. Mohamed war überzeugt davon, in den verbleibenden vier Tagen eine Lösung zu finden. 

Er zeigte mir den Triumphbogen, in dessen Achse die Tahrir Brücke liegt, dem Ort, wo die Revolution vor einem Jahr entschieden wurde. Ich war begeistert. „Es gibt hier tatsächlich eine Chance, denn der Platz gehört zur Oper. Wenn die Direktorin der Oper ihre Zustimmung gibt, dann können wir es hier wagen“, so Mohamed. Doch dafür müssten erst die richtigen Seilschaften gefunden werden. Den ganzen Tag fragten wir bei diversen Persönlichkeiten an. Für mich war alles sehr undurchsichtig, und dann kam es zu diesem Gespräch in der Eingangshalle. Zwischen Mohamed und einem anderen Mann entwickelte sich ein arabisches Wortduell – ungewöhnlich für uns Europäer. Dummerweise veranlasste es mich, in dieser Situation genau das Falsche zu tun: Ich machte ein Dokumentationsfoto. Mit einem Mal kippte die Situation komplett. Ich bekam zu spüren, wie dünnhäutig die Menschen in der aktuellen Lage reagierten. Die Kamera wurde mir sofort abgenommen und untersucht. Meine Bilder, Fotos von Graffitis und ärmlichen Situationen in der Stadt (die wir Künstler gerne festhalten) brachten den Mann, der sich als Sicherheitsbeauftragter der Militärregierung entpuppte, auf eine absurde Geschichte. Er meinte, dieses Projekt sei westliche Propaganda und wolle das Land in ein schlechtes Licht rücken. Auch Mohamed wurde als „Landesverräter“verdächtigt. Das Rededuell dauerte eine weitere halbe Stunde. Mohamed konnte ihn zumindest soweit überzeugen, dass der Sicherheitsbeauftragte einen Vorschlag machte: Er werde 100 Menschen organisieren, die dann auf den Tisch schreiben. Ich lehnte ab, denn das war nicht die Idee des Projektes.

Mohamed versuchte es noch einmal. Nach weiteren fünfzehn Minuten wurde die Unterredung mit einem herzlichen Handschlag beendet. Ich hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. „Wir haben verloren“, erklärte mir Mohamed stirnrunzelnd und fügte hinzu, „lass uns nicht aufgeben und weitermachen.“ 

Da die Sicherheitskräfte in der Stadt nun alarmiert waren, entschieden wir uns umzuschwenken. Mohameds Vorschlag: „Wir gehen nach Alexandria. Da gibt es das Hauptstadtproblem nicht und ich habe einen guten Kontakt dorthin.“ Er telefonierte und zwinkerte mir zu: “In der Sache klar bleiben, für den Weg dorthin aber offen sein – Allah weiß, für was es gut ist.“ 

Reem, eine Kollegin in Alexandria entschied aufgrund des Gesprächs spontan und eigenmächtig: “Wir bauen den Tisch auf der Promenade direkt vor der Stanley Bridge auf, ohne Genehmigung!“ Eine mutige Entscheidung, die wie ich erfuhr, nur aufgrund des aktuellen politischen Vakuums des Landes möglich war.

Tags darauf war ich überrascht, Reem nach drei Stunden Autofahrt in Alexandria gegenüber zu stehen. Noch keine 27 Jahre alt, von zarter Gestalt, mit Handyknopf im Ohr immer erreichbar, ist sie die Leiterin der Bibliothek in Alexandria. Sie erzählte, dass diese kulturelle Hochburg seit der Revolution schwere Zeiten hinter sich habe, die Hoheitsfrage des einstigen „Mubarak Prestige Gebäudes“ sei unklar.

Alexandria, eine kleine Stadt, so wurde mir erzählt, von nur vier Millionen Einwohnern, ist angenehm aufgrund der guten Luft. Wir luden mit einem 6-köpfigen Übersetzerteam alles aus dem Bus und errichteten den Tisch mitten auf der Promenade, direkt an der Hauptstraße, parallel zum Meer. Zu meinem Erstaunen parkte unser Bus den ganzen Tag auf der dreispurigen Straße. Der dichte Verkehr störte sich nicht groß an ihm und schlängelte sich irgendwie um ihn herum. Es verging keine Viertelstunde, da tauchte die Polizei auf. Ich sollte mich als Autor der Idee nicht preisgeben. Reem sprach mit mit den Polizisten. Es gab wohl einen gemeinsamen Freund, so war alles geklärt. Ich glaube, dass nicht einmal Bestechungsgeld floss, wie es üblich ist in Ländern, in denen das Gehalt der Polizisten nicht ausreicht, um die Familie zu ernähren.

In Ägypten regierte die Verunsicherung. Die Demokratie war (noch) nicht gelernt, aber der gewohnte Gehorsam funktionierte auch nicht mehr. Gruppen von jungen Männern streiften nachts freiheitsliebend und laut hupend mit ihren Mofas durch die Stadt. Menschengruppen aller politischen und religiösen Richtungen fanden sich täglich zu unterschiedlichen Kundgebungen auf der Straße zusammen und auf dem Tahrir Platz harrten weiterhin hunderte Demonstranten aus, in improvisierten Zelten lebend, von nationalen Fahnen umringt. Im Kontrast dazu sah man auffallend viele Frauen mit Kopftuch oder ganz verhüllt. Man erzählte mir, dass der Druck zunahm, die religiösen Maßstäbe des Islam zu leben. Die Moscheen bildeten das wohl am dichtest gespannte Netz in der Stadt. Politisch spiegelte sich das im Wahlsieg der Muslimbrüder wider.

„In diesem Kontext ist der Unbezahlbar-Tisch ein politisches Symbol für die Demokratie.“ sagte Reem: “Gerade jetzt müssen wir den öffentlichen Raum bespielen, der uns Jahrzehnte verwehrt war. Das ist die Kraft der Zukunft.“ 

Der Tisch entwickelte sich zum Magneten. Er war noch nicht fertig gedeckt und wurde schon von den Passanten beschrieben. Es ist immer wieder berührend, welche meditative Kraft der Tisch in Verbindung mit der Frage ausstrahlt. Zumeist junge Menschen beteiligten sich. Sehr schnell wurde sichtbar, dass „Gerechtigkeit“ und „Justiz“ sehr häufig geschriebene Wörter sind. „Es ist der Mangel an Bildung, der diese Ungerechtigkeit bzw. diese Unmündigkeit zulässt. Das Volk soll dumm bleiben, so will es die Militärregierung, Teile des Islam und auch Teile des Westens, auch Israel,“ so beschrieb Mohamed den Hintergrund der Situation. „Der Tisch bedeutet für mich, der mangelnden Bildung entgegenzuwirken. Deshalb habe ich ihn hier in das Land geholt.“

Mohamed ist ein mutiger Unternehmer. Er baut derzeit einen Kinder-Kunst-Raum in Kairo auf, das Hakawy International Arts Festival for Children, mit Theater, Malerei und Spiel. 

Das Land ist im Umbruch, nur wohin? Es gibt Menschen wie Mohamed und Reem – und wie Ebthehal. Sie lernte ich schon vor sechs Jahren bei der ersten Papiertheater-Tournee als ungewöhnliche Mitarbeiterin des Goethe-Instituts kennen. Damals war Ebthihal verhüllt. Nun erzählt sie mir mit wehenden Haaren ihre Geschichte: „Als ich vom Aufruf zur Revolution auf Facebook hörte, wollte ich, gerade erst frisch verheiratet, keine Probleme bekommen. Nachmittags bekamen wir beide dann ein schlechtes Gewissen und fuhren zum Tahrir Platz. Tausende hatten sich versammelt. Nachts rückte das Militär mit Tränengas an. Ich wusste nicht, dass das so weh tut – wir hatten großes Glück aus dem Kessel unverletzt herauszukommen. Diese Erfahrung hat mir die Angst genommen. Seitdem gehe ich auf fast alle Demonstrationen.“

Zurück zum Tisch. Er war bis zum Sonnenuntergang voll beschrieben. Viele politische Aussagen nach Freiheit und Mitbestimmung prägten den Inhalt. Erstaunlich oft wurde auch von der Gelassenheit als unbezahlbarem Wert gesprochen, wenig über Allah. 

Ich denke über unsere Demokratie nach und wie wichtig es ist, sich einzumischen. Denn eines wird mir in Kairo klar: Der Mangel an Kultur, der Mangel an ästhetischer Bildung erzeugt einen Mangel an selbstbestimmtem Handeln. Kultur ist Bildung. Kulturarbeit ist Bildungsarbeit.