Palestine – Betlehem

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Bethlehem

Datum: September 2011
Tisch: 45 Meter
Team: Reiner Hofmann, Johannes Volkmann
Film: Broka Herrmann, Karin Mallwitz
Foto: Johannes Volkmann
Partner: Goethe-Institut Ramallah: Dr. Jörg Schumacher, Filistin Younes, Peace Center Bethlehem: Rania Al Malki

Undenkbares wurde Realität – sowohl das Goethe-Institut Tel Aviv, als auch das Goethe-Institut Ramallah waren von dem gesellschaftlichen Experiment des Tisches begeistert und gemeinsam umschifften wir viele bürokratische und politische Klippen. Eineinhalb Jahre waren nach der ersten Kontaktaufnahme vergangen, drei Wochen vor der Abreise war wieder alles offen. Ramallah, der geplante Ort des Geschehens, sagte uns aus politischen Gründen kurzfristig ab. Wir rangen um eine neue Lösung und fanden eine – Bethlehem.

Der Tisch stand zwischen der Geburtskirche Jesus und der Omar Moschee, direkt vor dem Peace Center.

Reisebericht von Johannes Volkmann

Am Nachmittag musste der Tisch polizeilich bewacht werden.

Es durfte keine Friedensmission werden, so die Rahmenbedingung unserer Reise. Israel hatte einige Monate zuvor ein türkisches “Friedensschiff” mit Künstlern und Intellektuellen beschossen, und Ramallah lehnte als Reaktion darauf jegliche kulturelle Verbindung und Verflechtung mit Israel ab. Wir ließen also nicht öffentlich verlauten, dass wir den Tisch sowohl in Palästina als auch in Israel aufbauen wollten.

Nach strengen Sicherheitskontrollen landeten wir in Tel Aviv und fuhren mit dem Auto gleich weiter nach Bethlehem / Palästina. Die allgemeine Unsicherheit des Landes übertrug sich auf uns und es war nicht sicher, ob wir die Grenze zu Palästina würden passieren können. Sie unterliegt der Willkür des israelischen Militärs und alle Grenzstationen und mobile Straßensperren sind zum “alltäglichen Kriegszustand” geworden.

Vorbei an gepanzerten Fahrzeugen wurden wir letztendlich aufgrund unseres israelischen Nummernschildes zügig durchgelassen und erreichten gegen Abend Bethlehem. Im wohl einzigen Gästehaus der Stadt, einem christlichen Seminarhaus, kamen wir unter. Hotels und Pensionen gab es hier nicht, trotz des blühenden Tourismus zur Geburtskirche Christi. Der Grund hierfür ist, dass alle ausländischen Pilger von Israel aus gemanagt werden. Ausgerüstet mit Lunchpaketen, in organisierten Bussen, blieb für die Touristen nicht einmal Zeit für eine Kaffeepause in Bethlehem. Die Isolation des Landes Palästina ist Programm, das wurde sofort spürbar. Die Frustration darüber konnten wir in den Augen der Menschen lesen.

So auch tags darauf, als die Angestellten des Peace Centers, eines subventionierten Solitärobjekts der Europäer mitten am Platz, begannen, mit uns die 200 Teller in Papier einzuwickeln. Sie waren schüchtern, wollten nicht fotografiert werden und wunderten sich wahrscheinlich darüber, was das Ganze hier werden sollte. Sie hatten für uns alles bestens vorbereitet, entgegen des Images der unorganisierten Palästinenser. Die Tische wurden früh morgens am Platz abgeladen. Die Morgensonne verriet, dass es ein heißer Tag werden würde. Als der Bürgermeister von Bethlehem dann feierlich um zehn Uhr den Tisch eröffnete und „Freiheit und Selbstbestimmung“ in den Teller schrieb, blieb es zunächst recht leer. Von Weitem beobachteten die Menschen, was hier passierte.

Da es kulturelle Ereignisse dieser Art in Palästina nicht gibt, ganz zu schweigen von der freien Meinungsäußerung, war die Hürde sich zu beteiligen groß. Vielleicht war es auch die Angst davor, wer wohl hinter diesem Projekt stecke und was mit den Antworten passieren würde. Wir verteilten am Platz Handzettel und kamen so ins Gespräch.

Zum Beispiel mit dem Souvenirhändler, der uns von Banksy erzählte, einem Graffity-Künstler aus Amerika, der seine Freiheitssymbole illegalerweise auf die Grenzmauer, die das Westjordanland von Israel trennte, sprayte. „Diese Motive wurden zu Hoffnungssymbolen der Freiheit“, so erklärte es uns der Händler. Als ich ihn aufforderte, dies in einen der Teller zu schreiben, winkte er ab. Er wolle keine Schwierigkeiten bekommen. „Gedankenfreiheit“ schrieb später ein gut gekleideter Geschäftsmann auf den Tisch, der uns klar machen wollte, dass kein Geld mehr nach Palästina gespendet werden sollte, da es in die falschen Hände gelangte. Eine verschleierten Studentin fügte hinzu: „Justice first“ und erzählte uns von dem A-road-System. Straßen, auf denen nur israelische Fahrzeuge fahren dürfen, quer durch die palästinensischen Gebiete. Den Palästinensern war es nicht mal erlaubt, diese Straßen zu überqueren und so mussten sie oft weite Wege gehen, um ihr Ziel zu erreichen. Die Augen der Frau leuchteten freundlich im kleinen Sichtschlitz der Burka. 

Die Gespräche am Tisch verbanden uns mit den Menschen. Wie so oft bauten sie Ängste ab und es war wunderbar mitzuerleben, wie nach und nach immer mehr zum Tisch fanden. Er bekam sein Eigenleben, denn Jung und Alt wollte nun auch etwas aufschreiben. Wir merkten, dass das Mitteilungsbedürfnis groß war – kein Wunder, wenn man sich bewusst macht, dass Palästina “eingezäunt” und die Bewegungsfreiheit auch innerhalb des Landes eingeschränkt ist. Eine Frau kam zum dritten Mal und ergänzte immer wieder etwas – „Jeder Mensch hat ein Recht freiheitlich zu leben.“ Mit innigen Blicken bat sie mich, das weiterzugeben, denn die Stimme der einfachen Leute hier hört niemand. (Diesem Wunsch komme ich hiermit nach.) 

Beim Betrachten der Aussagen fiel mir auf, dass kollektive Wünsche im Vordergrund standen. Dinge, die das ganze Volk betreffen, wie der Wunsch nach freier Meinungsäußerung und nach Frieden, auch für alle Völker dieser Erde. In Deutschland hatte ich eher Kommentare gelesen, die das individuelle Glück suchten und das eigene Wohlempfinden als unbezahlbaren Wunsch beschrieben. Erstaunlich war auch, dass wir kaum Hassparolen auf den Tellern fanden, angesichts dieser fatalen Lebensumstände – und ich dachte mir, vielleicht sind es doch nur wenige, die die Polarität der beiden Länder anheizten. Das Volk will Frieden und freiheitlich leben, das war überdeutlich zu lesen. 

Am Nachmittag musste der Tisch polizeilich bewacht werden. Kinder kamen aus der Schule und umlagerten ihn scharenweise. Zuerst versuchten wir, sie zu beschäftigen und gaben ihnen kleinere Papiere zum Malen. Aber bald wurde klar, dass wir gegen ihre penetrante Art und Weise chancenlos waren. Sie kritzelten den ganzen Tisch voll. Als letzte Möglichkeit blieb uns nur noch alles Material einzusammeln, als dann überraschenderweise die Polizei anrückte.

Ich konnte mich eines Schmunzelns jedoch nicht erwehren, angesichts des Einfallsreichtums der Kinder, die wie die Fliegen um den Kuchen ihr Spiel auch mit den Sicherheitskräften trieben. Um so erfreulicher war, dass am Ende des Tages nicht einer der Teller fehlte. Beglückt bauten wir zur Abenddämmerung den Tisch ab.

Wie schön war es, den ganzen Tag Zeit zum Zuhören gehabt zu haben. Wie schön wäre es, wenn sich dieses Zuhören auf den Titelseiten der Zeitungen wiederfände, anstelle der angsteinflößenden Schlagzeilen der Gewalt.